Einrichtung einer Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime
für Nordrhein-Westfalen
- ZAC NRW - .
AV d. JM vom 15.03.2016
in der Fassung vom 29. August 2018
(4100 - III. 274)
- JMBl. NRW S. 232 -

 

1.

Grundsätzliches

 

Geschäftsabläufe und ganze Bereiche des Wirtschafts- und Privatlebens verlagern sich immer mehr in das Internet oder werden maßgeblich durch netzbasierte Vorgänge beeinflusst. Die Kriminalität folgt diesem Trend. Moderne Informations- und Kommunikationstechniken werden umfassend zur Begehung von Straftaten genutzt.

 

Den Staatsanwaltschaften obliegt es in derartigen Verfahren, hochkomplexe technische Sachverhalte unter materiell-strafrechtliche und strafprozessuale Vorschriften zu subsumieren. Um dabei die Sachleitungsbefugnis im Rahmen der Strafprozessordnung kompetent wahrzunehmen, gilt es sowohl in einzelnen Verfahren als auch verfahrensübergreifend mit der technischen Entwicklung Schritt zu halten und zugleich eng und vertrauensvoll mit den im Bereich der IT-Kriminalität spezialisierten Polizeidienststellen zusammenzuarbeiten. Nur so lassen sich auch zeitnah neuartige, IT-gestützte Ermittlungsmethoden erproben.

 

Darüber hinaus ist es geboten, den Kontakt mit Behörden und Vertretern der IT-Wirtschaft sowie der Wissenschaft zu pflegen, um neue Entwicklungen zeitnah zu erkennen, das große Dunkelfeld im Bereich der Cyberkriminalität aufzuhellen und die so gewonnenen Erkenntnisse in praxisnahe Fortbildungskonzepte umzusetzen.

 

 

 

2.

Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW)

 

Bei der Staatsanwaltschaft Köln wird eine Zentralstelle zur Bekämpfung der Cyberkriminalität für das Land Nordrhein-Westfalen eingerichtet.

 

Die Zentralstelle erhält die Bezeichnung Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen - ZAC NRW.

 

 

3.

Aufgaben der ZAC NRW

 

Der ZAC NRW obliegen die Verfahrensführung in herausgehobenen Verfahren im Bereich der Cyberkriminalität, die Wahrnehmung der Aufgaben einer zentralen Ansprechstelle für Cyberkriminalität sowie die Mitwirkung bei regionalen und überregionalen Aus- und Fortbildungsmaßnahmen in diesem Bereich.

 

 

3.1.

Verfahrensführung in herausgehobenen Verfahren im Bereich der Cyberkriminalität

 

Die ZAC NRW führt die Verfahren von herausgehobener Bedeutung bei Straftaten der Cyberkriminalität aus den Bezirken der Generalstaatsanwaltschaften Düsseldorf, Hamm und Köln nach folgenden Maßgaben.

 

 

3.1.1.

Cyberkriminalität umfasst insbesondere Straftaten gemäß §§ 202a -202d, 263a, 269, 270, 274 Absatz 1 Nr. 2 und Absatz 2 StGB, 303a, 303b StGB, § 17 Absatz 2 Ziffer 1 a und Ziffer 2 UWG und § 108a UrhG sowie, soweit das Internet als Tatmittel eingesetzt wurde, Straftaten nach bundes- oder landesrechtlichen Datenschutzvorschriften.

 

3.1.2.

Indikatoren, die einzeln oder in unterschiedlicher Verknüpfung Anlass geben können, einem Ermittlungsverfahren „herausgehobene Bedeutung“ beizumessen, sind:

 

  • die Tatbegehung aus dem Bereich der organisierten Cyber- und Darknetkriminalität;
  • die besondere Organisation der Tatverdächtigen in sogenannten „Hackerkollektiven“;
  • Auswirkungen auf bedeutende Wirtschaftszweige, Angriffe auf zentrale IT-Strukturen der Finanzwirtschaft, der Energieversorgung oder der technischen Infrastruktur (kritische Infrastrukturen);
  • Angriffe auf die IT-Struktur von Behörden oder anderen öffentlichen Einrichtungen;
  • Angriffe auf Computer- und Informationstechnik durch neuartige oder mit hohem Gefährdungspotential verbundene Begehungsweisen;
  • hoher technischer Ermittlungsaufwand im Bereich der Computer- und Informationstechnik, auch unter Einsatz neuartiger Ermittlungsmethoden.

 

 

 


3.1.3.

Der ZAC NRW werden nach § 143 Absatz 4 GVG die Amtsverrichtungen in den zu 3.1.1. und 3.1.2. näher bezeichneten Strafsachen und die Bearbeitung von Rechtshilfeersuchen von Stellen außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes, soweit diesen eine der in 3.1.1. und 3.1.2. näher bezeichneten Straftaten zugrunde liegt,  übertragen. Die Zuständigkeit der nach § 143 Absatz 1 GVG örtlich zuständigen Staatsanwaltschaft bleibt unberührt.

 

3.1.4.

Die ZAC NRW kann ihr nach Nummer 3.1.3. zugewiesene Verfahren jederzeit mit bindender Wirkung an die örtlich und sachlich zuständige Staatsanwaltschaft abgeben. Dies erfolgt über die Generalstaatsanwältin bzw. den Generalstaatsanwalt in Köln und die jeweilige Generalstaatsanwältin oder den jeweiligen Generalstaatsanwalt, in deren Bezirk die sachlich und örtlich zuständige Staatsanwaltschaft ihren Sitz hat. Im Interesse einer zügigen und wirksamen Strafverfolgung soll die ZAC NRW von dieser Befugnis nur zurückhaltend Gebrauch machen. Sie soll von einer Abgabe insbesondere dann absehen, wenn sie den Abschluss des Verfahrens ohne größeren Aufwand selbst herbeiführen kann.

 

Im Fall der Verfahrensabgabe stellt die ZAC NRW durch frühzeitige Kontaktaufnahme und Vermittlung des Sach- und Verfahrenstandes eine effektive Fortführung des Verfahrens sicher.

 

3.1.5.

Liegt einer Staatsanwaltschaft in Nordrhein-Westfalen ein Verfahren der Cyberkriminalität vor, welchem nach ihrer Ansicht herausgehobene Bedeutung (entsprechend der Ziffern 3.1.2. und 3.1.3.) zukommt, kann sie das Verfahren nach vorheriger Kontaktaufnahme mit der ZAC NRW unmittelbar an diese mit der Bitte um Übernahme vorlegen. Liegen die Voraussetzungen für eine Übernahme nicht oder nicht mehr vor, gibt die ZAC NRW das Verfahren unter Ablehnung der Übernahme unverzüglich zurück oder leitet das Verfahren an die dann örtlich und sachlich zuständige Staatsanwaltschaft weiter. Bei konkurrierenden Sonderzuständigkeiten ist Einvernehmen über die Zuständigkeit für die weitere Verfahrensbearbeitung herzustellen.

 

Verfahren nach Nummer 3.1.2 der AV d. JM vom 13.03.2018 zur Einrichtung einer Zentralstelle Terrorismusverfolgung Nordrhein-Westfalen - ZenTer NRW - (4021 - III. 53), bei denen eine konkurrierende Zuständigkeit der ZAC NRW begründet ist, führt diese, soweit und solange die Verfolgung von Cyberkriminalität den Verfahrensschwerpunkt bildet. Andernfalls obliegt die Verfahrensführung der ZenTer NRW. In jedem Fall, der die Aufgabenbereiche beider Zentralstellen berühren kann, wirken diese durch unverzügliche Kontaktaufnahme, vertrauensvolle Zusammenarbeit sowie die Einbringung der jeweiligen fachlichen Expertise auf eine zügige und sachgerechte Verfahrensbearbeitung hin.

 

3.1.6.

Soweit nach den vorgenannten Bestimmungen eine Zuständigkeit der ZAC NRW begründet ist, umfasst diese auch Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, die mit der zuständigkeitsbegründenden Tat eine Tat im prozessualen Sinne nach § 264 StPO bilden. Die Zentralstelle kann zudem die Bearbeitung von Straf- oder Bußgeldverfahren übernehmen, die mit der zuständigkeitsbegründenden Tat in einem Zusammenhang im Sinne von § 3 StPO stehen. Eine Abtrennung von Verfahren wegen Zusammenhangstaten und deren Abgabe oder Rückgabe an die nach § 143 Absatz 1 GVG örtlich zuständige Staatsanwaltschaft ist der ZAC NRW jederzeit möglich.

 

Die Zuständigkeit der ZAC NRW umfasst alle Verfahrensstadien und erstreckt sich auch auf Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende.

 

In den von ihr geführten Verfahren nimmt die ZAC NRW die Aufgaben der Vollstreckungsbehörde wahr (§ 143 Absatz 4 GVG, §§ 451 ff. StPO, §§ 46 und 91 OWiG), soweit nicht der Jugendrichter als Vollstreckungsleiter zuständig ist. Die ZAC NRW ist überdies Zentralstelle für die Verwertung von virtuellen Währungen im Sinne von § 77a Absatz 2 StVollstrO.

 

3.2.

Die ZAC NRW als Ansprechstelle Cybercrime

 

3.2.1.

Die ZAC NRW ist zentrale Ansprechstelle für grundsätzliche, verfahrensunabhängige Fragestellungen aus dem Bereich der Cyberkriminalität für Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden sowie sonstige Behörden Nordrhein-Westfalens, anderer Länder und des Bundes. Sie wirkt in entsprechenden fachlichen Gremien im In- und Ausland mit und stimmt sich mit anderen Zentralstellen und Einrichtungen der Justiz im In- und Ausland im Bereich der Cyberkriminalität ab. Soweit Fragen von grundsätzlicher rechtspolitischer Bedeutung berührt sind, handelt sie in Abstimmung mit dem Ministerium der Justiz.

 

3.2.2.

Die ZAC NRW steht als Kontaktstelle für die Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Wirtschaft zur Verfügung, soweit dies mit ihrer Aufgabe als Strafverfolgungsbehörde vereinbar ist. Sie greift aktuelle Entwicklungen und Themen in Wissenschaft und Wirtschaft auf und bringt diese in die Praxis der Strafverfolgung ein.

 

3.2.3.

Die ZAC NRW soll andere Staatsanwaltschaften sowie die Gerichte in Nordrhein-Westfalen insbesondere in Fällen grenzüberschreitender Cyberkriminalität beratend unterstützen. Sie kann Absprachen zur Förderung von Ermittlungsverfahren, insbesondere zur nachhaltigen Bearbeitung von Struktur- und Sammelverfahren vermitteln.

 

3.3.

Mitwirkung der ZAC NRW bei Aus- und Fortbildungsmaßnahmen im Bereich Cybercrime

 

3.3.1.

Die ZAC NRW analysiert fortlaufend tatsächliche, rechtliche und technische Entwicklungen, um aktuelle Phänomene der Cyberkriminalität frühzeitig zu erkennen und einheitliche Standards und Strategien zu deren effizienter strafrechtlicher Bekämpfung zu entwickeln.

 

3.3.2.

Sie bringt ihre Erkenntnisse und die Erfahrungen aus ihrer Ermittlungspraxis in die Aus- und Fortbildung der Justiz ein und unterstützt diese durch geeignete Beiträge.

 

3.3.3.

Die ZAC NRW ermöglicht interessierten Dezernentinnen und Dezernenten nordrhein-westfälischer Staatsanwaltschaften Hospitationen und fördert so die Grundqualifizierung zur Bearbeitung von Verfahren im Bereich der Cyberkriminalität in ganz Nordrhein-Westfalen.

 

4.

Mitwirkung und Koordination durch die Generalstaatsanwältin oder den Generalstaatsanwalt in Köln

Die Aufgaben zu 3.2. und 3.3. koordiniert die Generalstaatsanwältin oder der Generalstaatsanwalt in Köln und wirkt bei der Vertretung der ZAC NRW nach außen mit. Den Leiter oder die Leiterin der ZAC NRW bestellt die Leitende Oberstaatsanwältin oder der Leitende Oberstaatsanwalt in Köln im Einvernehmen mit der Generalstaatsanwältin oder dem Generalstaatsanwalt in Köln.

 

5.

Berichtspflicht

Die ZAC NRW berichtet dem Ministerium der Justiz jährlich auf dem Dienstweg über ihre Erfahrungen. Eine Abschrift des Berichts ist der Generalstaatsanwältin oder dem Generalstaatsanwalt in Hamm und der Generalstaatsanwältin oder dem Generalstaatsanwalt in Düsseldorf zuzuleiten.

 

6.

Schlussbestimmung

Diese AV tritt am Tage nach ihrer Veröffentlichung in Kraft.