Justizverwaltungsvorschriften
Untersuchungen und Begutachtungen von Beamtinnen und Beamten bei
Justizvollzugsanstalten durch eine Vollzugsärztin oder einen Vollzugsarzt
AV d. JM vom 29. Oktober 2021 (2400 - IV. 49)
- JMBl. NRW S. 400 -
I
Vollzugsärztin / Vollzugsarzt
1
Bestellung, Begriffsbestimmung
1.1
Zur Vollzugsärztin oder zum Vollzugsarzt können nur beamtete Ärztinnen oder Ärzte bestellt werden oder solche, welche die Voraussetzungen zur Übernahme in ein Beamtenverhältnis auf Probe erfüllen. Die Bestellung erfolgt landesweit zentral für alle Justizvollzugsanstalten durch das für Justiz zuständige Ministerium. Die Bestellung kann befristet werden. Sie ist auch als befristete Bestellung widerruflich.
1.2
Justizvollzugsanstalten im Sinne dieser AV sind auch die Jugendarrestanstalten des Landes Nordrhein-Westfalen, die nordrhein-westfälischen Einrichtungen zum Vollzug der Sicherungsverwahrung, das Justizvollzugskrankenhaus Nordrhein-Westfalen und die Sozialtherapeutische Anstalt Bochum.
2
Aufgaben, Zuständigkeit
2.1
Die Vollzugsärztin oder der Vollzugsarzt ist für die Erstellung von ärztlichen Gutachten zuständig, und zwar
2.1.1
vor Zurruhesetzung sowie nach erfolgter Zurruhesetzung von Beamtinnen und Beamten bei Justizvollzugsanstalten wegen Dienstunfähigkeit (Abschnitt III) und
2.1.2
bei Beamtinnen und Beamten des Allgemeinen Vollzugsdienstes, wenn eine Befreiung von bestimmten Diensten (zum Beispiel Schichtdienst, Nachtdienst, Wochenenddienst, Abteilungsdienst) beantragt wird (Abschnitt IV).
2.2
Hält die dienstvorgesetzte Stelle in den in Abschnitt I Nummer 2.1 dieser AV genannten Fällen eine ärztliche Untersuchung für erforderlich, ist im Regelfall die Vollzugsärztin oder der Vollzugsarzt mit der Erstellung des erforderlichen ärztlichen Gutachtens zu beauftragen. Abweichend von diesem Grundsatz ist der Auftrag zur Erstellung des erforderlichen Gutachtens der zuständigen unteren Gesundheitsbehörde zu erteilen, wenn die Prüfung Beamtinnen und Beamte der Justizvollzugsanstalt betrifft, der die Vollzugsärztin oder der Vollzugsarzt zugeordnet ist. Gleiches gilt, wenn aufgrund von Arbeitsüberlastung, die sich an noch ausstehenden Begutachtungen zeigt, die Vollzugsärztin oder der Vollzugsarzt voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die Begutachtung (ohne Einholung externer Zusatzgutachten) binnen vier Monaten abzuschließen, oder wenn im Einzelfall Umstände von solchem Gewicht vorliegen, die eine Abweichung von Satz 1 rechtfertigen.
2.3
Eine gleichzeitige oder zeitlich nachfolgende Beauftragung sowohl der unteren Gesundheitsbehörde als auch einer Vollzugsärztin oder eines Vollzugsarztes in demselben Begutachtungsfall ist bei unveränderter Sachlage nicht zulässig. Etwaige notwendige Folgeuntersuchungen und -begutachtungen sollen grundsätzlich durch die Ärztin oder den Arzt vorgenommen werden, die oder der die vorhergehende Untersuchung und Begutachtung durchgeführt hat.
2.4
Die Vollzugsärztin oder der Vollzugsarzt ist auch zuständig für die Erstellung einer ergänzenden ärztlichen Stellungnahme, wenn die dienstvorgesetzte Stelle eine solche anfordert, weil die Beamtin oder der Beamte substantiiert (zum Beispiel durch Vorlage einer aussagekräftigen privatärztlichen Stellungnahme) Einwände gegen ein zuvor erstattetes Gutachten erhoben hat.
2.5
Für betriebsärztliche Aufgaben ist die Vollzugsärztin oder der Vollzugarzt nicht zuständig.
3
Organisation
3.1
Organisatorisch ist die Funktion der Vollzugsärztin oder des Vollzugsarztes an eine Justizvollzugsanstalt angegliedert. Die Leitung der Justizvollzugsanstalt, der die Vollzugsärztin oder der Vollzugsarzt zugeordnet ist, ist unmittelbare Dienstvorgesetzte oder Dienstvorgesetzter der Vollzugsärztin oder des Vollzugsarztes.
3.2
Das für Justiz zuständige Ministerium stellt der Justizvollzugsanstalt, der die Vollzugsärztin oder der Vollzugsarzt zugeordnet ist, die zur Erfüllung ihrer oder seiner Aufgaben erforderlichen Sachmittel zusätzlich zur Verfügung. Soweit die Vollzugsärztin oder der Vollzugsarzt auch personeller Unterstützung bedarf, werden die hierfür maßgeblichen Rahmenbedingungen durch das für Justiz zuständige Ministerium festgelegt.
3.3
Im Schriftverkehr verwendet die Vollzugsärztin oder der Vollzugsarzt den Briefkopf „Die Vollzugsärztin/Der Vollzugsarzt“.
II
Verfahren im Allgemeinen
1
Untersuchungsauftrag
1.1
Untersuchung und Begutachtung veranlasst die dienstvorgesetzte Stelle unter Verwendung der Anlagen 1 oder 3. Der Auftrag muss den Untersuchungszweck genau beschreiben, etwaige besondere Anforderungen, die sich aus der Tätigkeit der Beamtin oder des Beamten ergeben, benennen und die Umstände mitteilen, die für die ärztliche Beurteilung von Bedeutung sein können. Soweit die Beamtin oder der Beamte der dienstvorgesetzten Stelle bereits privatärztliche Atteste vorgelegt hat, sind diese dem Untersuchungsauftrag beizufügen.
1.2
Die Anordnung an die betroffene Beamtin oder den betroffenen Beamten, sich ärztlich untersuchen zu lassen, erfolgt durch die dienstvorgesetzte Stelle und darf nicht der Vollzugsärztin oder dem Vollzugsarzt übertragen werden.
2
Untersuchung und Gutachtenerstellung
2.1
Die Vollzugsärztin oder der Vollzugsarzt hat von ihrer oder seiner Aufgabenstellung her unbefangen sowie unabhängig ihre oder seine Beurteilung abzugeben und ist verpflichtet, ihre oder seine Feststellungen nur unter ärztlichen Gesichtspunkten unter Berücksichtigung ihrer oder seiner vollzugsspezifischen Kenntnisse wahrheitsgemäß und unparteiisch zu treffen.
2.2
Die Vollzugsärztin oder der Vollzugsarzt legt einen Untersuchungstermin fest. Sie oder er führt die vollzugsärztliche Untersuchung mit der nötigen Sorgfalt durch und erstellt das vollzugsärztliche Gutachten.
2.3
Enthält die Anordnung an die betroffene Beamtin oder den betroffenen Beamten, sich ärztlich untersuchen zu lassen, zugleich die weitere Anordnung, sich einer von der Vollzugsärztin oder dem Vollzugsarzt für erforderlich gehaltenen Zusatzbegutachtung zu unterziehen, oder ergeht diese Anordnung durch die dienstvorgesetzte Stelle gesondert, kann die Vollzugsärztin oder der Vollzugsarzt, soweit dies aus medizinischer Sicht erforderlich ist, nach vorheriger Kostenzusage durch die beauftragende dienstvorgesetzte Stelle eine Zusatzbegutachtung durch eine Fachärztin oder einen Facharzt einholen. Mit einer fachärztlichen Zusatzbegutachtung darf keine Ärztin und kein Arzt beauftragt werden, die oder der die Beamtin oder den Beamten behandelt oder behandelt hat.
3
Datenschutz
3.1
Bei der Durchführung von vollzugsärztlichen Untersuchungen dürfen personenbezogene Daten nur verarbeitet werden, soweit dies zur Durchführung der Untersuchung für den jeweils angegebenen Untersuchungszweck erforderlich oder im Falle von besonderen Kategorien personenbezogener Daten (insbesondere Gesundheitsdaten) unbedingt erforderlich ist.
3.2
Soweit die Vollzugsärztin oder der Vollzugsarzt durch weitere Bedienstete des Justizvollzuges unterstützt wird, haben diese ebenso wie die Vollzugsärztin oder der Vollzugsarzt über Sachverhalte und Umstände, die ihnen im Rahmen dieser Tätigkeit anvertraut oder auf andere Weise bekannt geworden sind, Verschwiegenheit zu wahren.
3.3
Die Vollzugsärztin oder der Vollzugsarzt hat eigenverantwortlich die Vorgaben des Gesundheitsdatenschutzes zu wahren. Dies gilt insbesondere für die Erhebung, die Speicherung, die Übermittlung und Löschung von personenbezogenen Daten.
4
Mitteilungen an die dienstvorgesetzte Stelle
4.1
Vollzugsärztliche Mitteilungen (insbesondere Gutachten und Stellungnahmen) an die dienstvorgesetzte Stelle der Betroffenen sind in einem verschlossenen Umschlag unmittelbar der anfordernden Bearbeiterin oder dem anfordernden Bearbeiter der dienstvorgesetzten Stelle unter Verwendung der Anlagen 2 oder 4 zu übersenden.
4.2
Vollzugsärztliche Gutachten und Stellungnahmen sind inhaltlich so zu verfassen, dass sie der dienstvorgesetzten Behörde diejenigen medizinischen Fachkenntnisse vermitteln, die für deren Entscheidung erforderlich ist. Neben dem Untersuchungsergebnis sind auch die das Ergebnis tragenden Feststellungen und Gründe aufzuführen, soweit deren Kenntnis für die behördliche Entscheidung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erforderlich ist.
4.3
Genügen der zuständigen dienstvorgesetzten Stelle die vollzugsärztlichen Ausführungen nicht, um ihre Entscheidung treffen zu können, bittet sie die Vollzugsärztin oder den Vollzugsarzt um Ergänzung, indem sie darlegt, aus welchen Gründen weitere Angaben oder Erläuterungen benötigt werden. Die Verantwortung für die Datenübermittlung im Einzelfall liegt bei der Vollzugsärztin oder dem Vollzugsarzt.
III
Prüfung der Dienstfähigkeit im Zurruhesetzungsverfahren und nach erfolgter Zurruhesetzung
1
Zurruhesetzung
1.1
Beauftragt die dienstvorgesetzte Stelle unter Berücksichtigung von Abschnitt I Nummer 2.2 dieser AV die Vollzugsärztin oder den Vollzugsarzt mit der Begutachtung zur Überprüfung der Dienstfähigkeit im Zurruhesetzungsverfahren, übermittelt sie die Angaben über die zu untersuchende Person nach dem Muster der Anlage 1.
1.2
Die Darstellung der Ergebnisse in einem Zurruhesetzungsverfahren muss alle Angaben enthalten, die für die Entscheidung der personalverwaltenden Stelle erforderlich sind. Dazu zählen insbesondere Angaben zur Art, Intensität und Dauer der Erkrankung, zur Möglichkeit einer späteren Wiederherstellung der Dienstfähigkeit, zur gesundheitlichen Eignung für eine andere Verwendung (gegebenenfalls auch im Rahmen eines Laufbahnwechsels), zur begrenzten Dienstfähigkeit sowie über mögliche Maßnahmen zur Wiederherstellung der Dienstfähigkeit. Bei uneingeschränkter Dienstfähigkeit reicht es aus, diese zu bescheinigen. Für die Mitteilung des Ergebnisses an die dienstvorgesetzte Stelle gemäß Abschnitt II Nummer 4 dieser AV verwendet die Vollzugsärztin oder der Vollzugsarzt das Muster der Anlage 2.
2
Wiederherstellung der Dienstfähigkeit, Reaktivierung
Beruht die Zurruhesetzung einer Beamtin oder eines Beamten bei Justizvollzugsanstalten auf einer vollzugsärztlichen Untersuchung und Begutachtung, beauftragt die dienstvorgesetzte Stelle die Vollzugsärztin oder den Vollzugsarzt auch
2.1
mit der Prüfung, welche Maßnahmen zur Wiederherstellung der Dienstfähigkeit aus ärztlicher Sicht geeignet und zumutbar sind (§ 29 Absatz 4 BeamtStG) sowie
2.2
mit der Prüfung der Dienstfähigkeit nach erfolgter Zurruhesetzung im Verfahren einer Reaktivierung (§ 29 Absatz 5 BeamtStG) unter entsprechender Verwendung des Musters der Anlage 1.
IV
Prüfung der Einsatzfähigkeit bei Beamten des Allgemeinen Vollzugsdienstes
Beantragt eine Beamtin oder ein Beamter des Allgemeinen Vollzugsdienstes eine Befreiung von bestimmten Diensten und entscheidet die dienstvorgesetzte Stelle unter Berücksichtigung von Abschnitt I Nummer 2.2 dieser AV, ein vollzugsärztliches Gutachten einzuholen, sind für die Beauftragung durch die dienstvorgesetzte Stelle und die Mitteilung des Ergebnisses an die dienstvorgesetzte Stelle die Muster der Anlagen 3 und 4 zu verwenden.
V
Inkrafttreten
Diese Allgemeinverfügung tritt am Tag nach der Veröffentlichung in Kraft. Die AV d. JM vom 23. April 2010 (2400 - IV. 49) wird aufgehoben.