Justizverwaltungsvorschriften
Behandlung psychisch erkrankter Haftentlassener durch forensische Ambulanzen zur Erfüllung von Therapieweisungen
AV d. JM vom 3. Dezember 2024 (4000 - III. 128 Sdb. Allgemein)
- JMBl. NRW S. 13 -
1.
Weisung in der Führungsaufsicht
Das Gericht kann die verurteilte Person anweisen, sich in einer forensischen Ambulanz psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen (Therapieweisung nach § 68b Absatz 2 Satz 2 und 3 StGB). Ergänzend dazu wird bestimmt:
2.
Forensische Ambulanzen
2.1
Träger forensischer Ambulanzen im Sinne dieser AV sind die Evangelisches Klinikum Bethel gGmbH, die LVR-Klinik Langenfeld und die LWL-Klinik Paderborn.
2.2
Die Zulassung weiterer Einrichtungen, die die für forensische Ambulanzen definierten und aus der Anlage ersichtlichen Qualitätsstandards erfüllen, erfolgt durch das Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen auf Antrag. Dem Antrag sind Nachweise über die Erfüllung dieser Qualitätsstandards beizufügen. Die aktuelle Liste der zugelassenen Einrichtungen wird im Justizintranet und unter www.justiz.nrw.de veröffentlicht.
2.3
Die forensischen Ambulanzen sind bereit, im Rahmen ihrer Kapazitäten den sich aus der Umsetzung von Therapieweisungen ergebenden Behandlungsbedarf zu übernehmen und dabei die sich aus den vorgenannten Qualitätsstandards ergebenden Vorgaben zu erfüllen.
2.4
Die Behandlung dauert grundsätzlich so lange an, bis die Anordnung vom zuständigen Gericht aufgehoben beziehungsweise die Behandlung im Einvernehmen mit dem Gericht eingestellt wird. Darüber hinaus endet die Behandlung mit dem Ende der Führungsaufsicht, dem Wegzug der verurteilten Person aus dem Versorgungsgebiet oder einer erneuten Inhaftierung der verurteilten Person.
2.5
Die Zuweisung an die forensische Ambulanz erfolgt durch Gerichtsbeschluss.
3.
Zielgruppen
3.1
In die forensischen Ambulanzen werden aufgenommen:
- Personen, bei denen gemäß § 68f Abs. 1 StGB Kraft Gesetz oder § 68 Abs. 1 StGB aufgrund Anordnung im Urteil Führungsaufsicht eintritt, und
- Sicherungsverwahrte, deren Maßregel gemäß § 67d Abs. 3 StGB für erledigt erklärt wurde
und denen aufgrund einer festgestellten Störung nach ICD-10-GM (bzw. einem revidierten Nachfolge-Manual) mit Auswirkung auf die Legalprognose eine Therapieweisung nach § 68b Abs. 2 S. 2 und 3 StGB erteilt wird.
3.2
Ausnahmsweise können aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls Personen, bei denen eine Störung nach ICD-10-GM (bzw. einem revidierten Nachfolge-Manual) mit Auswirkung auf die Legalprognose vorliegt und die zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurden, deren weitere Vollstreckung gemäß § 57a StGB zur Bewährung ausgesetzt wird, auf Anregung der Justizvollzugsanstalt, der Fachkraft des ambulanten Sozialen Dienstes der Justiz oder der Vollstreckungsbehörde durch die forensischen Ambulanzen behandelt werden.
4.
Vorbereitendes Aufnahmeverfahren
4.1
Kommt die Erteilung einer Weisung nach § 68b Abs. 2 S. 2 und 3 StGB in Betracht, ermittelt die Justizvollzugsanstalt die Bereitschaft der verurteilten Person, sich psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch durch eine forensische Ambulanz behandeln zu lassen, und holt die Einwilligung der verurteilten Person zum Datenaustausch zwischen den zuständigen justiziellen Stellen und der forensischen Ambulanz ein. Bei bestehender Behandlungsbereitschaft unterrichtet die Anstalt sechs Monate vor dem zu erwartenden Vollstreckungsende, im Übrigen schnellstmöglich die zuständige Vollstreckungsbehörde, die örtlich zuständige Dienststelle des ambulanten Sozialen Dienstes der Justiz und die Leitung der örtlich zuständigen Führungsaufsichtsstelle.
4.2
Die Vollstreckungsbehörde beauftragt unverzüglich eine nach Ziffern 2.1 und 2.2 zugelassene und örtlich für die verurteilte Person in Betracht kommende forensische Ambulanz mit der Erstattung eines Kurzgutachtens, das sich zum Vorliegen der Voraussetzungen für eine Behandlung der verurteilten Person verhält. Das Gutachten soll der Vollstreckungsbehörde vier Monate vor Strafende erstattet werden.
4.3
Die forensische Ambulanz teilt das Ergebnis des Gutachtens der verurteilten Person, der Justizvollzugsanstalt, der Vollstreckungsbehörde, der örtlich zuständigen Dienststelle des ambulanten Sozialen Dienstes der Justiz und der Leitung der Führungsaufsichtsstelle mit.
4.4
Kommt das Gutachten zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Behandlung der verurteilten Person durch die forensische Ambulanz vorliegen, soll die Vollstreckungsbehörde regelmäßig mit der Aktenübersendung gemäß § 54a Absatz 2 Strafvollstreckungsordnung (StVollstrO) bei dem zuständigen Gericht die Erteilung einer Therapieweisung unter Benennung der örtlich zuständigen forensischen Ambulanz anregen. Über die Anregung unterrichtet die Vollstreckungsbehörde zugleich die örtlich zuständige forensische Ambulanz.
4.5
Nach erfolgter Anregung gemäß Ziffer 4.4 soll die forensische Ambulanz zur Vorbereitung der Aufnahme der verurteilten Person bereits während des Justizvollzuges mit der Therapie beginnen.
4.6
Wird ein Behandlungsbedarf erst nach Entlassung aus dem Justizvollzug oder nach Aktenübersendung gemäß § 54a Absatz 2 StVollStrO festgestellt, gelten die Ziffern 4.1 bis 4.5 mit der Maßgabe entsprechend, dass die Einholung der Einwilligung zum Datenaustausch und die Anregung zur Erteilung der Therapieweisung gegenüber der Vollstreckungsbehörde auch durch die Fachkraft des ambulanten Sozialen Dienstes der Justiz oder die Leitung der Führungsaufsichtsstelle erfolgen kann.
5.
Kosten des vorbereitenden Aufnahmeverfahrens
Für die Kosten der Begutachtung im vorbereitenden Aufnahmeverfahren gelten die §§ 8 und 9 Absatz 1 JVEG Honorargruppe M 3 (zurzeit 120 Euro pro Stunde).
6.
Therapiekosten
6.1
Die Therapiekosten umfassen die für die Erfüllung der Therapieweisung entstehenden fallbezogenen Personal- und Sachkosten der jeweiligen forensischen Ambulanz.
6.2
Das Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen trägt die Kosten nach Ziffer 5, wenn die verurteilte Person ihren Wohnsitz in Nordrhein-Westfalen hat oder ein nordrhein-westfälisches Gericht für die Entscheidung über die Erteilung einer Therapieweisung zuständig ist.
6.3
Die Kostentragungspflicht des Ministeriums der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen ist auf 20 verurteilte Personen pro zugelassener forensischer Ambulanz begrenzt. Die Kostentragung für die Behandlung einer darüber hinausgehenden Anzahl verurteilter Personen setzt die Zustimmung des Ministeriums der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen voraus. Diese muss vor Beginn der Behandlung mittels formlosem Antrag eingeholt werden.
6.4
Die forensische Ambulanz erhält eine Kostenpauschale für jeden Kalendertag pro zugewiesener Person. Die Höhe der Kostenpauschale wird durch das Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen zum 1. Januar eines jeden Kalenderjahres festgesetzt und im Internet unter www.justiz.nrw.de veröffentlicht sowie den zugelassenen forensischen Ambulanzen formlos bekanntgegeben. Die Erstattungen erfolgen quartalsweise. Mit der Kostenpauschale ist das multiprofessionelle Komplexleistungsangebot der forensischen Ambulanzen abgegolten.
6.5
Für den Beginn des Anfalls der Kostenpauschale ist der Zeitpunkt der Anregung der Erteilung einer Therapieweisung durch die Vollstreckungsbehörde gegenüber dem zuständigen Gericht gemäß Ziffer 4.4 maßgeblich. Die Staatskasse trägt die durch den Beginn der Therapie nach Ziffer 4.5 entstandenen Kosten, wenn das zuständige Gericht entgegen der Anregung der Vollstreckungsbehörde von der Erteilung einer Therapieweisung absieht.
6.6
Die Kostenpauschale fällt an, solange die Therapie nach Ziffer 2.4 andauert.
6.7
Das Oberlandesgericht am Sitz der forensischen Ambulanz erstattet dieser die Kosten nach Ziffer 5 quartalsweise. Die von der forensischen Ambulanz vorzulegende Abrechnung enthält mindestens den Namen und den Eintrittszeitpunkt der verurteilten Person, das Aktenzeichen des Weisungsbeschlusses und den Hinweis, dass die Voraussetzungen für die Kostenerstattung nach Ziffer 6.6 vorliegen.
7.
Zusammenarbeit
7.1
Die forensischen Ambulanzen, die Leitung der Führungsaufsichtsstelle, die Fachkraft des ambulanten Sozialen Dienstes der Justiz und der Justizvollzug arbeiten vertrauensvoll zusammen, um den gesetzlichen Auftrag zu erfüllen. Dazu sollen sie schriftliche Kooperationsvereinbarungen zwischen den vorgenannten Beteiligten schließen.
7.2
Mit der Therapie soll, sofern kein Fall gemäß Ziffern 4.5 oder 4.6 vorliegt, unverzüglich nach der Entlassung aus der Justizvollzugsanstalt, spätestens jedoch nach vier Wochen begonnen werden.
7.3
Die forensische Ambulanz dokumentiert die Umsetzung der von ihr durchgeführten Behandlung sachgerecht und wirkt an einer Evaluation ihrer Tätigkeit mit.
8. Offenbarungs- und Schweigepflichten
8.1
Bezüglich Weisungen in der Führungsaufsicht gilt § 68a Absatz 8 StGB.
8.2
Die verurteilte Person ist bei Eintritt in die forensische Ambulanz über die bestehenden Offenbarungs- und Schweigepflichten zu unterrichten.
9.
Verstoß gegen Weisungen
Die forensische Ambulanz teilt einen Verstoß der verurteilten Person gegen die Therapieweisung der Leitung der Führungsaufsichtsstelle mit. Sie informiert zudem die Fachkraft des ambulanten Sozialen Dienstes der Justiz.
10.
Entsprechende Geltung
In den unter Ziffer 3.2 genannten Fällen sowie bei verurteilten Personen, auf die das Jugendstrafrecht Anwendung findet, gelten die Ziffern 4 bis 9 entsprechend.
11.
Inkrafttreten
11.1
Die AV tritt mit Wirkung zum 1. Januar 2025 in Kraft.
11.2
Therapien, die bereits begonnen wurden, werden ab Inkrafttreten nach dieser AV vergütet.