Justizverwaltungsvorschriften
Gemeinsame Richtlinien der Justizminister/-senatoren und der Innenminister/-senatoren der
Länder über die Zusammenarbeit bei der Verfolgung der Organisierten Kriminalität
Gem. RdErl. des Justizministeriums (4201 - III A.9),
des Innenministeriums (IV A 2 - 2700/2967),
des Finanzministeriums (IN 0991 - 6 - I A 3),
des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales (III C 5 - 1010.3),
des Ministeriums für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie (134 - 42 - 0.4),
des Ministeriums für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft (l A 4 - 98.21.01),
des Ministeriums für Bauen und Wohnen (III A 3 - 0 - 1432 - 30)
und des Ministeriums für Stadtentwicklung und Verkehr (ZA 3 0201/Z A 5 3947)
vom 13. November 1990
- JMBI. NW S. 267 -
1.
1.1
Die Verfolgung der Organisierten Kriminalität ist ein wichtiges Anliegen der Allgemeinheit. Es ist eine zentrale Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden, dieser Erscheinungsform der Kriminalität wirksam und mit Nachdruck zu begegnen.
1.2
Aufklärungserfolge können nur erreicht werden, wenn Staatsanwaltschaft und Polizei im einzelnen Verfahren und verfahrensübergreifend besonders eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten; dies setzt eine möglichst frühzeitige gegenseitige Unterrichtung voraus. Gleiches gilt für die Zusammenarbeit mit dem Zoll- und dem Steuerfahndungsdienst.
1.3
Notwendig ist auch die Zusammenarbeit mit anderen Stellen, insbesondere den Justizvollzugsanstalten, den Finanz- und Zollbehörden, den Ordnungs- und Sonder-ordnungsbehörden sowie den Dienststellen der Arbeitsverwaltung.
2.1
Organisierte Kriminalität ist die vom Gewinn- oder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig
a) unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen,
b) unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder
c) unter Einflußnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft
zusammenwirken.
Der Begriff umfaßt nicht Straftaten des Terrorismus.
2.2
Die Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität sind vielgestaltig. Neben strukturierten, hierarchisch aufgebauten Organisationsformen (häufig zusätzlich abgestützt durch ethnische Solidarität, Sprache, Sitten, sozialen und familiären Hintergrund) finden sich - auf der Basis eine(r). Systems persönlicher und geschäftlicher kriminell nutzbarer Verbindungen - Straftäterverflechtungen mit unterschiedlichem Bindungsgrad der Personen untereinander, deren konkrete Ausformung durch die jeweiligen kriminellen Interessen bestimmt wird.
2.3
Organisierte Kriminalität wird zur Zeit vorwiegend in den folgenden Kriminalitätsbereichen festgestellt:
- Rauschgifthandel und -Schmuggel
- Waffenhandel und -Schmuggel
- Kriminalität im Zusammenhang mit dem Nachtleben (vor allem Zuhälterei, Prostitution, Menschenhandel, illegales Glücks- und Falschspiel)
- Schutzgelderpressung
- unerlaubte Arbeitsvermittlung und Beschäftigung
- illegale Einschleusung von Ausländern
- Warenzeichenfälschung (Markenpiraterie)
- Goldschmuggel
- Kapitalanlagebetrug
- Subventionsbetrug und Eihgangsabgabenhinterzie-hung
- Fälschung und Mißbrauch unbarer Zahlungsmittel
- Herstellung und Verbreitung von Falschgeld
- Verschiebung insbesondere hochwertiger Kraftfahrzeuge und von Lkw-, Container- und Schiffsladungen
- Betrug zum Nachteil von Versicherungen
- Einbruchdiebstahl in Wohnungen mit zentraler Beuteverwertung.
Neben diesen Kriminalitäts'bereichen zeichnen sich Ansätze Organisierter Kriminalität auch auf den Gebieten der illegalen Entsorgung von Sonderabfall und des illegalen Technologietransfers ab.
2.4
Indikatoren, die einzeln oder in unterschiedlicher Verknüpfung Anlaß geben können, einen Sachverhalt der Organisierten Kriminalität zuzurechnen, sind in der Anlage genannt. Die Aufzählung ist nicht abschließend und nicht auf spezielle Deliktsbereiche abgestellt. In Zweifetefällen stellen die einander zugeordneten Straf-
verfolgungsbehörden umgehend Einvernehmen darüber her, ob sie einen Sachverhalt als Organisierte Kriminalität bewerten.
3.1
Die zügige und wirksame Verfolgung der Organisierten Kriminalität setzt eine aufeinander abgestimmte Organisation der Strafverfolgungsbehörden voraus. Ein identischer Aufbau ist nicht erförderlich.
3.2
örtliche und überörtliche Stellen der Staatsanwaltschaft:
3.2.1
Bei jeder Staatsanwaltschaft wird ein Abteilungsleiter oder Staatsanwalt bestellt, der die Aufgabe hat, in ständiger und enger Zusammenarbeit mit den zuständigen Kriminalpolizeid'ienststellen die Entwicklung der Organisierten Kriminalität zu beobachten, zu analysieren und Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden zu planen und zu koordinieren (Ansprechpartner/OK-Beauftragter).
3.2.2 ;
Der Abteilung oder dem Sachgebiet des Ansprechpartners/OK-Beauftragten soll die Bearbeitung aller Verfahren zugewiesen werden, denen Organisierte Kriminalität zugrunde liegt. Soweit besondere Zuständigkeiten bestehen (z. B. für die Rauschgift- oder Wirtschaftskriminalität), können diese hiervon ausgenommen werden.
3.2.3
Bei dem Generalstaatsanwalt werden die verfahrensübergreifenden Aufgaben des Ansprechpartners/OK-Beauftragten für den Bezirk des Generalstaatsanwalts einem Koordinator übertragen. Der Koordinator sorgt auch dafür, daß über die Führung von Sammelverfahre'n umgehend entschieden wird.
Er hat ferner die Aufgabe, den Erfahrungs- und Informationsaustausch auf überörtlicher Ebene zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei sowie mit den sonst in den Nrn. 1.2 und 1.3 genannten Behörden vorzubereiten und durchzuführen. Nr. 3.2.2 gilt sinngemäß.
3.2.4
Der Qeneralstaatsanwalt prüft in geeigneten Fällen, ob bestimmte Verfahren für den Bezirk mehrerer Staatsanwaltschaften einer Staatsanwaltschaft zuzuweisen sind (§§ 143,145 GVG).
3.3
örtliche und überörtliche Steilen der Kriminalpolizei
3.3.1
Zur Aufdeckung und Verfolgung von Organisierter Kriminalität werden beim Bundeskriminalamt, den Landes-kri'minalämtern sowie in den Flächenstaaten im örtlichen oder regionalen Bereich an Brennpunkten' der Organisierten Kriminalität spezialisierte Dienststellen/ Ein'hei-ten eingerichtet bzw. ausgebaut, die insbesondere deliktsübergreifend und täterorienitiert ermitteln. Dienststellen zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität sind beim Landeskriminalamt und den zu Krirmnalhaupt-stellen bestimmten Kreispolizeibehörden eingerichtet. Fälle der deliktstreuen Organisierten Kriminalität, insbesondere der Rauschgiftkriminalität, können von besonders eingerichteten Organisationseinheiten der Kriminalpolizei bearbeitet werden. Sonderkommissionen
zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität sollen nur .in Ausnahmefällen eingerichtet werden.
3.3.2
Den Kreispolizeibehörden und dem Landeskriminalamt obliegen in enger Abstimmung mit der für das jeweilige Verfähren zuständigen Staatsanwaltschaft die krimi-naipotizeilichen Ermittlungen einschließlich operativer Maßnahmen.
Zu ihren Aufgaben gehören ferner
- das Zusammenführen OK-relevanter Erkenntnisse
- die Mitwirkung an der Erstellung des Kriminalitätslagebildes "Organisierte Kriminalität" für das Land
der Informationsaustausch
- mit der Staateanwaltschaft
- mit den Organisierte Kriminalität bearbeitenden Dienststellen des Landes
- anlaßbezogen mit anderen Polizeidienststellen
- mit dem Landeskriminalamt.
3.3.3
Das Landeskriminalamt wertet zentral den OK-Bereich betreffende Informationen aus und verknüpft sie mit eigenen und landerübergreifenden Erkenntnissen. Im Rahmen seiner Zuständigkeit führt es die Ermittlungen selbst oder veranlaßt ihre Durchführung durch andere Dienststellen. Für den Informationsaustausch gilt Nr. 3.3.2 entsprechend.
3.3.4
Das Bundeskriminalamt wertet zentral OK-relevante Informationen aus und verknüpft sie mit Erkenntnissen aus eigenen Verfahren und aus dem internationalen Bereich. Es führt im Rahmen seiner originären oder auftragsabhängigen Zuständigkeit die kriminalpolizeilichen Ermittlungen selbst oder weist sie im Einvernehmen mit den zuständigen Stellen einem Land zu.
3.4
Die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität ist eine Aufgabe nicht nur der in den Nrn. 3.2 und 3.3 aufgeführten Behörden, Dienststellen und Beamten. Vielmehr sind alle Angehörigen der Strafverfolgungsbehörden gehalten, auf Anzeichen für Organisierte Kriminalität zu achten:
3.4.1
Im Bereich der Staatsanwaltschaft ist sicherzustellen, daß sich die Beamten an die besonderen Sachbearbeiter/Dezernenten wenden und, wenn die Sachbearbeitung konzentriert ist, die Verfahren abgeben können.
3.4.2
Im Bereich der Polizei sind entsprechende Erkenntnisse an die zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität eingerichteten Organisationseinheiten weiterzuleiten.
4.1
Vorrangiges Ziel der Ermittlungen muß es sein, in den Kernbereich der kriminellen Organisation einzudringen und die im Hintergrund agierenden hauptverantwortlichen Straftäter zu erkennen, zu überführen und zur Aburteilung zu bringen.
4.2
Der Staatsanwalt schaltet sich schon zu Beginn der Ermittlungen in die unmittelbare Fallaufklärung ein. Die Verfah'renstaktik und die einzelnen Ermittlungsschritte sind abzustimmen. Die Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft bleibt unberührt.
4.2.1
Der Grundsatz, daß Ermittlungen straff und beschleunigt zu führen sind, gilt auch in Verfahren wegen Organisierter Kriminalität. Das vorrangige Ermittlungsziel ist aber im Auge zu behalten, auch wenn dies längerdauernde Ermittlungen erfordert.
4.2.2
Im Interesse des vorrangigen Ermittlungszieles sind die Mittel zur Begrenzung des Verfahrensstoffes (§§ 153 ff. StPO) möglichst frühzeitig zu nutzen. Dies gilt besonders auch im Hinblick auf das Hauptverfahren, das sich auf die wesentlichen Vorwürfe konzentrieren sollte.
4.2.3
Die Abfolge der Ermittlungshandlungen wird in erster Linie von dem vorrangigen Ermittlungsziel bestimmt. Einzelne Maßnahmen können vorläufig zurückgestellt werden, wenn ihre Vornahme die Erreichung dieses Zieles gefährden würde. Dies gilt nicht, wenn sofortige Maßnahmen wegen der Schwere der Tat oder aus Gründen der Gefahrenabwehr geboten sind.
4.2.4
Erfordert die Erledigung von Verfahren gegen Randtäter der kriminellen Organisation oder sonstige Nebenbeteiligte noch weitere Ermittlungen, so darf der schnelle Abschluß dieser Verfahren dem vorrangigen Ermittlungsziel nicht übergeordnet werden. Bei der gebotenen Abwägung ist den Ermittlungen gegen die verantwortlichen Haupttäter der Vorzug zu geben; die übrigen Verfahren sind vorübergehend zurückzustellen.
4.3
In Verfahren wegen Organisierter Kriminalität soll möglichst der Staatsanwalt die Anklage vertreten, der die Ermittlungen geleitet hat.
4.4
Für die Zusammenarbeit bei der Inanspruchnahme von Informanten, bei dem Einsatz von V-Personen und Verdeckten Ermittlern sowie beim Zeugenschutz gelten die hierfür erlassenen Richtlinien.
4.5
Für die Zusammenarbeit im Rahmen von Initiativermittlungen gilt Nr. 6.
5.1
Die verfahrensübergreifende Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei hat zum Ziel, daß beide Behörden einen vertieften und gleichen Erkenntnisstand über die Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität und die spezifischen Probleme einschlägiger Verfahren gewinnen, gemeinsam fortentwickeln und bei den jeweiligen Einzelmaßnahmen zugrunde legen. Die verfahrensübergreifende Zusammenarbeit dient auch der Verständigung über die örtliche und zeitliche Steuerung der E'rmittlungskapazitäten von Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei durch Bildung von Schwerpunkten entsprechend dem jeweiligen Lagebild.
5.2
Die Staatsanwaltschaft und die Kriminalpolizei vereinbaren regelmäßige Dienstbesprechungen, bei denen
insbesondere erörtert werden
- Lage, voraussichtliche Entwicklung und Maßnahmen zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität in fhrem Bereich
- Erkenntnise und Erfahrungen aus dem Ablauf von Ermittlung(r)- und gerichtlichen Verfahren, auch Auswirkungen von Fehlern in der Ermittlungstätigkeit
- Erkenntnisse und Erfahrungen aus der Anwendung verdeckter Ermittl'ung'smethoden und aus dem Zeu-genschutz, einschließlich der Sicherung der gebotenen
Geheimhaltung
- Erkenntnisse und Erfahrungen aus Maßnahmen zur Gewinnabschöpfung
- örtliche Praxis der internationalen Rechtshilfe und sonstigen Zusammenarbeit mit ausländischen Behörden
- allgemeine Fragen der Zusammenarbeit
- Öffentlichkeitsarbeit.
Die Besprechungen sollen einmal jährlich, bei Bedarf auch häufiger, stattfinden. Dem Zollfahndungsdienst soll Gelegenheit zur Teilnahme gegeben werden. Ober die Zuziehung anderer Behörden entscheiden die beteiligten Stellen. Ober das Ergebnis der Besprechungen ist den jeweils vorgesetzten Behörden zu berichten.
5.3
Die Besprechungen können auch auf der Ebene der Generalstaatsanwälte vereinbart werden.
5.4
Gemeinsame Information(r)- und Fortbildungsveranstaltungen sind vorzusehen.
5.5
Die Hospitation von Beamten der Staatsanwaltschaft und der Krimrnalpolizei bei der jeweils anderen Behörde ist zu ermöglichen.
6.1
Organisierte Kriminalität wird nur selten von sich aus offenbar, Strafanzeigen in diesem Bereich werden häufig nicht erstattet, u. a. weil die Zeugen Angst haben.
Die Aufklärung und wirksame Verfolgung der Organisierten Kriminalität setzt daher voraus, daß Staatsanwaltschaft und Polizei von sich aus im Rahmen ihrer gesetzlichen Befugrasse Informationen gewinnen, oder bereits erhobene Informationen zusammenführen um Ansätze zu weiteren Ermittlungen zu erhalten (Initiativermittlungen).
6.2
Liegt ein Sachverhalt vor, bei dem nach kriminalistischer Erfahrung die wenn auch geringe Wahrscheinlichkeit besteht, daß eine verfolgbare Straftat begangen worden ist, besteht ein Anfangsverdacht (§ 152 Abs. 2 StPO). Dieser löst die Strafverfolgungspflicht aus. Es ist nicht notwendig, daß sich der Verdacht gegen eine bestimmte Person richtet.
Bleibt nach Prüfung der vorliegenden Anhaltspunkte unklar, ob ein Anfangsverdaoht besteht, und sind Ansätze für weitere Nachforschungen vorhanden, so können die Strafverfolg'ungsbehörden diesen nachgehen. In solchen Fällen besteht keine gesetzliche Verfolgungspflicht. Ziel ist allein die Klärung, ob ein Anfangsverdacht besteht. Strafprozessuale Zwangs- und Eingriffs-
befugnisse stehen den Strafverfolgungsbehörden in diesem Stadium nicht zu.
Ob und inwieweit die Strafverfolgungsbehörden sich in diesen Fällen um weitere Aufklärung bemühen, richtet sich nach Verhältnismäßigkeitserwägungen; wegen der besonderen Gefährlichkeit der Organisierten Kriminalität werden sie ihre Aufklärungsmöglichkeiten bei Anhaltspunkten für solche Straftaten in der Regel ausschöpfen.
6.3
Die Befugnisse der Polizei zu Initiativermittlun'gen im Rahmen der Gefahrenabwehr richten sich nach dem Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen.
6.4
Bei Initiativermittlungen liegen häufig die Elemente der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr in Gemengelage vor oder gehen im Verlauf eines Verdichtungsund Erkenntnisprozesses ineinander über. Staatsanwaltschaft und Polizei arbeiten auch in diesem Bereich eng zusammen. Für die Zusammenarbeit gelten die Nrn. 4 und 5 sinngemäß mit der Maßgabe, daß
- das Ziel der In'itiativermi'ttlungen die Klärung des Anfangsverdachts/der Gefahren'lage ist
- dem Staatsanwalt in Fällen der Gefahrenabwehr eine Leitungsbefugnis nicht zusteht.
6.5
Die Zusammenarbeit obliegt auf der Seite der Staatsanwaltschaft der Behörde, die für die Durchführung des Ermittlungsverfahrens zuständig wäre. In Zweifelsfällen entscheidet die nächsthöhere Behörde.
7.1
Die von der Organisierten Kriminalität ausgehenden Gefahren sind auch bei Vollzugsentscheidungen zu berücksichtigen.
7.2
Die Justizvollzugsanstalten sind über
- Verbindungen eines Untersuchungs- oder Strafgefangenen zur Organisierten Kriminalität
- Erscheinungsformen und Entwicklung der Organisierten Kriminalität
zu informieren, soweit es für Vollzuösentscheidungen erheblich sein kann und Belange der Strafverfolgung nicht entgegenstehen.
7.3
Die Information über den Gefangenen muß möglichst bei der Einlieferung erfolgen. Anderenfalls ist sie nachzuholen. Sie obliegt der Staatsanwaltschaft, in Eilfällen der Kriminalpolizei.
7.4
Den Vollzugsbehörden soll Gelegenheit gegeben werden,, an den in Nrn. 5.3 und 5.4 genannten Veranstaltungen teilzunehmen; bei Bedarf sind sie auch zu den Besprechungen nach Nr. 5.2 hinzuzuziehen.
7.5
Die Justizvollzugsanstalt unterrichtet die Staatsanwaltschaft, in EilfäHen die Kriminalpolizei, über Erkenntnisse, die für die Verfolgung der Organisierten Kriminalität von Bedeutung sein können.
7.6
Ansprechpartner in der Justizvollzugsanstalt ist der Anstaltsleiter.
8.1
Zoll- und Finanzbehörden
8.1.1
Soweit Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei bei ihren Ermittlungen im Bereich der Organisierten Kriminalität Anhaltspunkte für
- Hinterziehung von Eingangsabgaben oder Verbrauchsteuern , z. B. Gold- oder Alkoholschmuggel
- Straftaten im Sinne des § 37 Abs. 1 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen (MOG), z.B. Subventionsbetrug im Zusammenhang
mit Fleisch oder Getreide
- Straftaten nach dem Außenwirtschaftsgesetz (AWG) z. B. illegaler Technologietransfer, oder Straftaten nach dem Kriegswaffenkorrtrollgesetz (KWKG) mit
Auslandsbezug '
- Zuwiderhandlungen gegen Verbote und Beschränkungen des grenzüberschreitenden Warenverkehrs, z.B. Rauschgift- oder Waffenschmuggel,
Warenzeichenfälschungen
feststellen, ist der Zollfahndungsdienst zu unterrichten (vgl. §§ 403, 116 AO, 42 AWG). Dies kann entweder über das Zollkriminalinstitut - Zentrales Zollfahndungsamt - oder das örtliche ZoMfahndungsamt erfolgen.
Gewinnt der Zollfahndungsdienst im Rahmen seiner Ermittlungen Anhaltspunkte, die auf das Vorliegen Organisierter Kriminalität hindeuten und für dessen Aufklärung die Polizei/Staatsanwaltschaft zuständig ist, so unterrichtet er die zuständigen Strafverfolgungsbehörden. Handelt es sich bei den Ermittlungen des Zollfahndungsdienstes um Ermittlungen wegen einer Zoll- oder Verbrauchssteuerstraftat, 90 ist das Steuergeheimnis zu beachten. Es ist dann im Einzelfall zu prüfen, ob das Steuergeheimnis durchbrochen werden kann.
8.1.2
Soweit Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei bei ihren Ermittlungen im Bereich der Organisierten Kriminalität
Anhaltspunkte für Steuerstraftaten feststellen, ist der Steuerfahndungsdienst zu unterrichten (vgl. §§ 403, 116
AO). Gewinnt der Steuerfahndungsdienst im Rahmen seiner steuerstrafrechtlichen Ermittlungen Anhaltspunkte, die auf das Vorliegen von Organisierter Kriminalität hindeuten und für dessen Aufklärung die Polizei/Staatsanwaltschaft zuständig ist, so unterrichtet er die zuständigen Strafverfolgungsbehörden, wenn das Steuergeheimnis dem nicht entgegensteht. Dies ist im Einzelfall zu prüfen.
8.2
Andere Behörden
Die Organisierte Kriminalität kann mit strafrechtlichen Mrtteln allein nicht mit Erfolg bekämpft werden. Die
von ihr ausgehenden Gefahren sind auch bei den Entscheidungen der Ordnungsbehörden und sonstiger Verwaltungsbehörden (vgl. Nr. 1.3) zu berücksichtigen.
Die Verwaltungsbehörden können ferner zur Aufklärung der Organisierten Kriminalität beitragen, indem sie relevante Erkenntnisse z. B. über unerlaubte Arbeitsvermittlung, illegale Beschäftigung, illegale Einschleusung von Ausländern, den Strafverfolg'ungsbehörden mitteilen. ,
8.3
Verfahrensübergreifende Zusammenarbeit
Für die verfahrensübergreifende Zusammenarbeit kann sich die Einrichtung von Gesprächskreisen auf örtlicher
und überörtlicher Ebene durch die Ansprechpartner/OK-Beauftragten und Koordinatoren (Nr. 3.2) empfehlen.
Dem Schutz der Ermittlungen kommt in Verfahren wegen Organisierter Kriminalität besonders hohe Bedeutung zu. Ihm muß durch Brmittlungsbehörden und Justizvollzugsanstalten Rechnung getragen werden. Um das vorrangige Ermittlungsziel (vgl. Nr. 4.1) nicht zu gefährden, ist sicherzustellen, daß
- ausschließlich unmittelbar an den Ermittlungen Beteiligte Kenntnis von Maßnahmen der verdeckten Informationsgewinnung erlangen
- in den mit der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität befaßten Dienststellen/Organisationseinheiten alle Voraussetzungen für den Schutz der Ermittlungen
gegeben sind.
Die Rechte der Verteidigung bleiben unberührt.